Wenn Sozialdienste fusionieren oder enger zusammenarbeiten, können die Beratungen je nach gewähltem Modell weiterhin durch die bisherigen lokalen Organisationen durchgeführt werden. 
Forschung

Kooperationen von Sozialdiensten: Modelle und Gelingensbedingungen

08.09.2025
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Sozialdienste stehen vor strukturellen Herausforderungen: Angespannte Fachkräftelage, komplexere Fälle und steigende Ansprüche von Politik und Gesellschaft an Professionalität und Wirkung führen dazu, dass viele Gemeinden über verstärkte Kooperationen nachdenken. Interkommunale Zusammenarbeit kann hier neue Perspektiven eröffnen – wenn sie sorgfältig gestaltet wird.

Sozialdienste sehen sich mit wachsenden Anforderungen konfrontiert: zunehmender Fallkomplexität, steigenden Erwartungen an Qualität und Professionalität sowie der angespannten Fachkräftelage. Auch Empfehlungen von Fachgremien zur Mindestgrösse von Sozialdiensten wie der KOKES (Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz) oder der BKSE (Berner Konferenz für Sozialhilfe, Erwachsenen- und Kindesschutz) und regulatorische Entwicklungen führen dazu, bestehende Strukturen kritisch zu hinterfragen und über grössere Organisationseinheiten nachzudenken. Es stellen sich Fragen wie: Reichen die bestehenden Strukturen aus, um den Auftrag nachhaltig zu erfüllen? Wie lassen sich kleinere oder mittelgrosse Sozialdienste zukunftsfähig weiterentwickeln – fachlich, organisatorisch und finanziell? Eine mögliche Antwort liegt in der interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ). Von punktuellen Kooperationen bis hin zur strukturellen Integration von Sozialdiensten in neue Trägerschaften werden vielerorts verschiedene Varianten geprüft. Die Berner Fachhochschule (BFH) hat in den letzten Jahren mehrere Projekte begleitet, in denen Gemeinden solche Optionen ausgelotet haben. 

Unterschiedliche Ausgangslagen und Zielsetzungen

In der Praxis zeigt sich, dass der Weg zur Kooperation von Sozialdiensten nicht überall an derselben Stelle beginnt. Ausgangslage, Anstoss und Zielsetzungen unterscheiden sich – und bestimmen wesentlich, welche Kooperationsformen überhaupt sinnvoll sind. So entschied sich in einem Fall ein kleiner regionaler Sozialdienst, sich einem mittelgrossen Sozialdienst anzuschliessen. Ausschlaggebend dafür war das Anliegen, die Dienstleistung im Einzugsgebiet auch künftig gewährleisten zu können – insbesondere mit Blick auf mögliche künftige Anforderungen an die Mindestgrösse von Sozialdiensten. In einem anderen Beispiel trat eine Gemeinde – in erster Linie aus Kostengründen – aus dem bestehenden Gemeindeverband aus und schloss sich einem benachbarten Sozialdienst an. Die verbleibenden Gemeinden standen vor der Frage, unter welchen Bedingungen der bestehende Sozialdienst weitergeführt werden kann. In einem dritten Projekt prüften vier ähnlich aufgestellte Sozialdienste in einer Region, wie sie ihre Zusammenarbeit intensivieren könnten, um spezialisiertes Fachwissen (z. B. Rechtsdienst) besser zu bündeln und flexibler auf personelle Engpässe zu reagieren. Und in einer weiteren Region nahmen drei sehr unterschiedlich organisierte Dienste – in Grösse sowie Struktur – gemeinsam eine Analyse ihrer Ausgangslage und Entwicklungsmöglichkeiten in Angriff, um Optionen für eine engere Zusammenarbeit zu prüfen. 

Die Beispiele zeigen: Interkommunale Zusammenarbeit beginnt nicht mit einem fertigen Modell, sondern mit einer sorgfältigen Analyse der jeweiligen Situation.

Passende Kooperationsformen

In den Projekten, welche die BFH begleitet, kristallisierten sich unterschiedliche Kooperationsformen heraus – je nach Bedarf, Kontext und politischem Willen:

  • «Mini-Modelle» betreffen punktuelle Kooperationen in einzelnen Aufgabenbereichen, etwa bei der Alimentenhilfe, den Unterhaltsvereinbarungen oder der gemeinsamen Nutzung von Fachwissen. Diese Zusammenarbeit ist pragmatisch angelegt – und oft ein erster Schritt.
  • «Midi-Modelle» zielen darauf, dass gewisse Aufgaben, z. B. administrative Aufgaben oder Aufgaben, die viel Spezialwissen erfordern, gemeinsam erbracht werden. Die Basisleistungen, insbesondere die Beratungen, werden weiterhin durch die bisherigen Organisationen durchgeführt.
  • «Maxi-Modelle» beinhalten die Zusammenführung mehrerer Dienste. Es entsteht ein gemeinsamer Sozialdienst. Dabei können die bisherigen Standorte durchaus bestehen bleiben. Die Aufgaben lassen sich aber so besser bedarfsorientiert zuteilen, und es gibt mehr Flexibilität beim Einsatz des Personals.

Diese vielfältigen Modelle zeigen: Die passende Kooperationsform hängt nicht nur von fachlichen Erwägungen ab, sondern sie muss sich an der konkreten Situation der Dienste vor Ort und den politischen Gegebenheiten in den beteiligten Gemeinden orientieren. Es gibt keine Standardlösung – wohl aber wiederkehrende Fragen, die zu klären sind.

Systematische Analyse als Entscheidungsgrundlage

Die Erfahrung zeigt, dass zu Beginn die Ist-Situation der beteiligten Sozialdienste analysiert wird. Es geht darum, die Ausgangslage zu klären. Dazu gehören insbesondere organisatorische und personelle Strukturen, die finanzielle Lage, bestehende Kooperationen sowie bisher ungenutzte Synergiepotenziale. Mit einer SWOT-Analyse werden zudem die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken für die Sozialdienste dargelegt. Auf dieser Grundlage lassen sich geeignete Kooperationsmodelle identifizieren – vom Status quo über verschiedene Kooperationsgrade bis hin zur vollständigen Zusammenlegung. Jedes Modell wird entlang von relevanten Kriterien, beispielsweise Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zugänglichkeit, analysiert und bewertet. Die Resultate dienen den politischen Gremien als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen.

Wie Kooperationen gelingen

Auch wenn einige Projekte noch nicht abgeschlossen und die Ausgangslagen unterschiedlich sind, lassen sich einige Gelingensbedingungen herausarbeiten, die für alle Projekte der interkommunalen Zusammenarbeit im Bereich der Sozialdienste eine Rolle spielen:

  • Geografische Nähe und bereits bestehende Kooperationen in anderen Feldern (z. B. in der Jugendarbeit, in der Schule oder in der Feuerwehr) fördern das gegenseitige Vertrauen.
  • Besonders wichtig ist die frühzeitige Zieldefinition und Klärung, welche Bereiche die Kooperation umfassen soll – nur die Kernbereiche der Sozialdienste wie Sozialhilfe, Kindes- Erwachsenenschutz sowie Alimentenhilfe oder auch weitere Bereiche wie die Schulsozialarbeit oder die Altersarbeit?
  • Die Vertiefung der interkommunalen Zusammenarbeit bedingt in der Regel auch politische Entscheide und damit den Einbezug von Sozialbehörden, Exekutiven und Legislativen. Diese Prozesse erfordern Zeit. 
  • Transparenz spielt eine zentrale Rolle. Wer kooperieren will, muss offenlegen, wo Herausforderungen bestehen und was man sich von einer Zusammenarbeit verspricht – und auch, wo Unsicherheiten vorhanden sind. Diese Faktoren nachvollziehbar darzulegen, ist entscheidend für tragfähige Beschlüsse.
  • Ein partizipativer Prozess mit der Einbindung von Mitarbeitenden kann die Akzeptanz fördern und eine realistische Einschätzung tragfähiger Lösungen bringen.
  • Eine unabhängige externe Begleitung hilft, Potenziale und Risiken realistisch einzuschätzen, und dient der Legitimation gegenüber politischen Gremien.

Kooperationen als Chance – aber keine Selbstläufer

Interkommunale Kooperationen von Sozialdiensten bieten grosse Chancen – fachlich, finanziell und organisatorisch. Sie ermöglichen es, Ressourcen zu bündeln und den Herausforderungen der Zukunft mit robusten Strukturen zu begegnen. Grössere Organisationseinheiten verfügen über mehr Spielräume und höhere Resilienz – etwa bei neuen Anforderungen, zunehmendem Bedarf an Spezialwissen oder beim Ausfall von Schlüsselpersonen. Auch die Qualitätssicherung kann durch Kooperationen langfristig gestärkt werden. Kooperationen bedeuten aber nicht, dass kleinere Sozialdienste weniger leistungsfähig sind. Viele leisten heute gute Arbeit, sind gut verankert und mit starker Nähe zur Bevölkerung. Es geht vielmehr darum, kontextabhängig tragfähige Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Kooperationen müssen sorgfältig vorbereitet und auf die jeweiligen regionalen Gegebenheiten abgestimmt werden. Es lohnt sich also, die Strukturen aktiv weiterzudenken.

Quellen

Berner Konferenz für Sozialhilfe Erwachsenen- und Kindesschutz (BKSE) (2024). Stellungnahme zur Befragung zur Mindestgrösse der Sozialdienste. www.bernerkonferenz.ch/assets/uploads/PositionenStellungnahmen/Mindestgroesse_Stellungnahme-BKSE-final.pdf

Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) (2021). Empfehlungen zur Organisation von Berufsbeistandschaften. Luzern: KOKES