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Auch wiederholter Sozialhilfebezug kann nachhaltig sein

04.09.2022
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Rund jedes zweite Dossier, das ein Sozialdienst im Laufe eines Jahrs eröffnet, ist entweder eine Wiedereröffnung, oder es wird nach der Ablösung mindestens einmal erneut geöffnet. Über die Nachhaltigkeit der Sozialhilfe sagt dieser Befund allerdings noch nicht viel aus. Der Weg aus der Sozialhilfe erfordert oft mehrere Anläufe.

Die nachhaltige Ablösung – also eine Situation, bei der Betroffene nach Beendigung des Sozialhilfebezugs dauerhaft selbstständig für ihren Lebensunterhalt aufkommen können – gilt als das zentrale Ziel der Sozialhilfe. Durch finanzielle Absicherung, Beratung und Vermittlung sollen Sozialhilfebeziehende hierbei möglichst effektiv unterstützt werden.

Allerdings ist das Ende des Sozialhilfebezugs oft nicht von Dauer. Dies zeigt die Analyse der verknüpften Sozialhilfedaten der Jahre 2010 bis 2020 im Rahmen des Kennzahlenvergleichs durch 14 Schweizer Städte. Bei der für diese Analyse untersuchten Eintrittskohorte 2013 haben 31 Prozent der Antragstellenden in den drei Jahren davor bereits einmal in derselben Stadt Sozialhilfe bezogen. Weitere 22 Prozent der Antragstellenden sind in der Folge nach der Beendigung des Sozialhilfebezugs mindestens einmal erneut in die Sozialhilfe eingetreten. Dies bedeutet: Lediglich 47 Prozent der Eintrittskohorte 2013 weisen nur eine einzige Bezugsperiode auf. Der Anteil der Personen, die nur einmal Sozialhilfe bezogen haben, dürfte tatsächlich sogar noch tiefer ausfallen, da Bezüge in anderen Gemeinden und in der Periode vor 2010 nicht berücksichtigt worden sind.

Anteile der Sozialhilfefälle nach Anzahl Bezugsperioden

Bei den Fällen mit wiederholtem Sozialhilfebezug weisen über die Hälfte zwei Bezugsperioden und rund ein Viertel drei Bezugsperioden auf. Auch vier und mehr Bezugsperioden sind nicht ungewöhnlich (siehe Grafik). Vereinzelt gibt es Antragstellende, die praktisch in jedem Beobachtungsjahr für einige Monate Sozialhilfe beziehen und für die deshalb jedes Mal ein neues Dossier eröffnet wurde.

Prekäre Lebenssituation

Warum ist wiederholter Sozialhilfebezug so häufig? Der Grund sind die meist längerfristig prekären Situationen, in denen sich Menschen befinden, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Betreuungspflichten, gesundheitliche Einschränkungen oder auch fehlende Qualifikationen für den Arbeitsmarkt reduzieren deren Möglichkeiten, ein Einkommen zu generieren, mit dem sie sich auch längerfristig absichern können.

Auch instabile Einkommenssituationen verbunden mit fehlenden finanziellen Reserven können dazu führen, dass wiederholt Sozialhilfe beantragt werden muss. Dies betrifft zum Beispiel Beschäftigte in Saison- oder Temporäranstellung und Selbstständige, die ein Kleinunternehmen führen. Ein Teil der Betroffenen kann sich dabei mehrheitlich selbstständig durchschlagen. Bei unvorhergesehenen Ausgaben – zum Beispiel einer höheren Zahnarztrechnung – sind sie jedoch auf Überbrückung angewiesen.

Verfestigte Armutslagen

Die Analysen verdeutlichen aber auch, dass es teilweise dieselben Gruppen sind, die überdurchschnittlich lange Bezugsperioden aufweisen und öfter wiederholt Sozialhilfe beziehen. Dazu gehören insbesondere Personen ohne berufliche Ausbildung sowie Geflüchtete. Lange Bezugsperioden (von drei Jahren und mehr) sind Ausdruck einer verfestigten Armutslage. Wer in einer solchen Situation war, dürfte sich danach oft noch eine Weile nahe der Armutsgrenze befinden. Dies ist besonders dann der Fall, wenn der materielle Aufstieg lediglich in eine Einkommensklasse knapp über dem durch die Sozialhilfe abgesicherten Existenzminimum erfolgt ist.

Verschiedene Lebensereignisse – beispielsweise eine Trennung, die Geburt eines Kindes oder der Verlust der Erwerbsarbeit – können dann rasch wieder zu einer Armutsperiode führen. Es ist also sehr plausibel, dass es bei Personen mit längerem Unterstützungsbedarf vermehrt zu weiteren – allenfalls auch kürzeren – zusätzlichen Bezugsperioden kommt. Wiederholter Sozialhilfebezug deutet in diesen Fällen auf länger andauernde und durch Rückschläge gekennzeichnete Wege in die wirtschaftliche Unabhängigkeit.

Kurzfristige Überbrückung

Ein erneuter Sozialhilfebezug ist demnach nicht zwingend Ausdruck einer zu wenig auf Nachhaltigkeit fokussierten Unterstützung. Vielmehr gilt es zu beachten, dass gerade bei komplexen Ausgangslagen für eine nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation oft mehrere Versuche benötigt werden.

Gleichzeitig gilt es aber auch zu betonen, dass nicht jede Ablösung ohne Folgebezug auf eine besonders nachhaltige Unterstützungspraxis hinweist. Bei den untersuchten Antragstellenden, die nur eine Bezugsperiode aufwiesen, handelte es sich in fast der Hälfte der Fälle um Kurzzeitbeziehende mit maximal einem Jahr im Bezug. 16 Prozent waren sogar weniger als drei Monate im Bezug. Es handelt sich demnach besonders oft um Personen und Familien, bei denen die Sozialhilfe eine vorübergehende Notlage beheben konnte. Beispielsweise überbrückte die Sozialhilfe kurzfristige finanzielle Engpässe bei verzögerter Auszahlung von Renten.

Nachhaltige Unterstützung in der Sozialhilfe

Wichtig scheint daher, Nachhaltigkeit in der Sozialhilfe nicht in erster Linie anhand der Frage zu klären, ob einmal geschlossene Dossiers auch geschlossen bleiben. Nachhaltig sind Unterstützungsleistungen dann, wenn sie sich an der längerfristigen Verbesserung der Ausgangslage für die betroffene Familie oder Person orientieren. Klappt der Versuch, im ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen, nicht auf Anhieb, bringt es wenig, dies als verpasstes Ziel zu werten. Vielmehr gilt es, die Betroffenen weiter zu ermuntern und aufzuzeigen, dass sie mit ihrer Erfahrung nicht allein sind. Das selbstständige Bestreiten des Lebensunterhalts über eine Erwerbstätigkeit gilt es unbedingt auch dann als Erfolg zu werten, wenn es noch nicht mit einer dauerhaften Ablösung verbunden war.

Je nach Ausgangslage ist zudem das Ziel einer raschen Ablösung mit dem einer nachhaltigen Ablösung nicht vereinbar. Sind fehlende Sprachkenntnisse oder Qualifikationen der zentrale Grund für die prekäre Ausgangslage, kann es sehr sinnvoll sein, auf eine kurzfristige Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt zu verzichten und die Betroffenen für (Weiter-)Bildungsmassnahmen zu motivieren.

Investition in Bildung

Wiederholter Sozialhilfebezug sowie teilweise sehr lange Bezugsdauern kommen in der Sozialhilfe oft vor. Die Lebensumstände, die dazu führen, dass Menschen in Armutslagen geraten und dadurch auf Sozialhilfe angewiesen sind, sind vielfältig, und nicht immer lassen sich diese in kurzer Zeit überwinden. Indem bei Bedarf die Unterstützungsleistungen an längerfristigen Bildungszielen ausgerichtet werden, kann die Sozialhilfe einen Beitrag dazu leisten, die Zahl der Menschen zu verringern, die aufgrund fehlender Qualifikationen längerfristig in einem nicht stabilen Grenzbereich zwischen Armut und prekärer Erwerbstätigkeit verharren.

Prof. Dr. Michelle Beyeler
Berner Fachhochschule