Malen sei wie meditieren, sagt eine Teilnehmerin der stiftungsinternen Tagesstätte.

«Das einzig Konstante ist die Veränderung»

03.06.2024
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Die Stiftung Battenberg in Biel begleitet Menschen mit Aus- und Weiterbildungsprogrammen sowie mit Wohndienstleistungen auf ihrem Weg in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt und in ein möglichst selbstständiges Leben. Das zweisprachige Angebot steht Menschen aus der ganzen Schweiz offen.

An der Südstrasse 55 in Biel steht zwischen Wohnblöcken und Schule ein heller Plattenbau. Hier ist seit 1962 die Stiftung Battenberg ansässig. Ursprünglich wurde sie gegründet, um angesichts des damals spürbaren Fachkräftemangels Menschen mit vorwiegend körperlichen Behinderungen in den Produktionsstätten der Uhrenindustrie auszubilden und zu beschäftigen. Heute unterstützt die Stiftung Menschen mit besonderen Bedürfnissen, fördert ihre Stärken und Talente und begleitet sie auf ihrem Weg in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt und in ein möglichst selbstständiges Leben. Die Stiftung bietet nebst Arbeits- und Beschäftigungsplätzen auch Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und Wohndienstleistungen an. Die Stiftung steht der Uhrenindustrie noch immer nahe und bietet zusätzlich rund 40 verschiedene Ausbildungen in den Sparten Uhrmacherei, Industrie und Handwerk, Elektronik, Informatik, Gestaltung, Verwaltung sowie Wohnen, Gastronomie und Gebäudedienstleistungen an.

Stiftungsinterne Tagesstätte

Im Erdgeschoss neben dem öffentlichen Restaurant befindet sich die Tagesstätte der Stiftung. Der helle Raum mit Fensterfronten auf beiden Seiten ist lichtdurchflutet. Heute herrscht emsiges Treiben. In einer Ecke sitzen sich Nadine* und Amanda* gegenüber, zwischen sich diverse Farben in Flaschen, Pinsel, einfach alles, was man zum Malen braucht. Nadine wohnt und arbeitet nach einem Klinikaufenthalt seit rund fünf Wochen in der Stiftung Battenberg. Hier hat sie das Malen für sich entdeckt. «Es ist wie meditieren», meint sie, während sie für spätere Weihnachtskarten Grundierungsarbeiten ausführt. «Ich bin hierhergekommen und habe als Erstes einen Seelenverwandten gefunden, obwohl ich eigentlich keinen Mann mehr wollte», meint sie schmunzelnd.

Die Tagesstätte fokussiert sich unter anderem auf die berufliche Integration. «Wir haben viele junge Menschen, die übers Wohnen für die Tagesstruktur zu uns kommen. Sie bleiben so lange in der Tagesstätte, bis der nächste berufliche Schritt aufgegleist ist», erklärt Irene Dill, Leiterin der Tagesstätte. Anschlusslösungen können stiftungsintern wie auch extern sein. «Wir fangen hier auch Personen auf, die in einer Ausbildungskrise stecken. Wir bieten ihnen ein Time-out, damit sie sich wieder fangen können», erklärt sie weiter. «Wenn dadurch ein Ausbildungsabbruch verhindert werden kann, ist es für alle eine Win-win-Situation.» Die Bandbreite der Teilnehmenden reicht von Minderjährigen bis zu Personen im Rentenalter.

Nachfrage nach Wohnen

Die Stiftung Battenberg hat im Laufe der Zeit Institutionen mit Angeboten des zweiten Arbeitsmarktes integriert. Durch dieses soziale Engagement wurden Arbeitsplätze unterschiedlicher Niveaus in der Stiftung vereint. Der Austausch zwischen den verschiedenen Ausbildungsformen ist in verschiedenen Bereichen spürbar und sichtbar, zum Beispiel wenn der Mitarbeiter im zweiten Arbeitsmarkt dem EFZ-Lernenden Elektronik erklärt, wie seine Maschine funktioniert. Auch im Wohnbereich «haben wir heute eine kunterbunte Mischung von Altersstrukturen. Es treffen sich Menschen aus verschiedenen Ausbildungs- oder Beschäftigungsprogrammen und mit unterschiedlichen Lebensplänen. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner verbringen gerne Zeit zusammen und unterstützen sich gegenseitig», sagt Francine Bornand, Leiterin des Fachbereiches Wohnen. «Die Nachfrage zeigt, dass es Menschen gibt, die eine Form der Begleitung und Betreuung im Wohnalltag wünschen und die Gemeinschaft suchen», stellt sie fest. Battenberg bietet daher verschiedene Wohnsettings an:

  • An der Südstrasse stehen erwachsenen Personen auf zwei Stockwerken möblierte Einzelzimmer zur Verfügung. Die Bewohnerinnen und Bewohner kochen zusammen und begegnen sich in den Gemeinschaftsräumen. Während der Woche steht das Selbstbedienungsrestaurant für das Mittagessen zur Verfügung, an den Wochenenden sind die Bewohnenden selbst für die Verpflegung verantwortlich und unterstützen sich gegenseitig. In den von der Stiftung gemieteten Zweierwohngemeinschaften und Studios im Stadtquartier Biel-Mett und in Viererwohngemeinschaften am Hauptstandort wird mit punktueller Unterstützung durch Fachpersonen der letzte Schritt vor dem selbstständigen Wohnen geübt.
  • Am Wohnstandort Tulip bietet die Stiftung Wohnmöglichkeiten für bis zu 38 mehrheitlich minderjährige und junge Erwachsene, die meist innerhalb des Battenbergs eine Ausbildung absolvieren. Da die Wohnanfragen für Minderjährige stark zugenommen haben, besteht hier seit September 2023 ein 24/7-Wohnangebot. Die Finanzierung dieser Wohnaufenthalte wird von IV-Stellen, Sozialdiensten und EKS-/KESB-Stellen getragen.

«Living Museum» – Malen in der Tagesstätte

Es gibt immer mehr psychisch beeinträchtigte und von Krankheiten geschwächte Menschen, die mit dem rasanten Tempo des Alltags in der Gesellschaft nicht mehr Schritt halten können und selbst bei niederschwelligen und geschützten Arbeitsangeboten überfordert sind. Die Tagesstätte bietet deshalb ein «Living Museum» an und folgt damit dem Konzept einer weltweiten Bewegung, die 1987 in New York entstanden ist. Ziel des «Living Museum» ist es, diesen Menschen einen Schutzraum in einer stressfreien Umgebung zu bieten. «Das freie Schaffen hilft, wieder festen Boden unter die Füsse zu bekommen, und stärkt das Selbstwertgefühl», sagt Irene Dill. «Das ‹Living Museum› ist schweizweit ein richtiger Boom. Wir können es zunächst nur für die Personen der Tagesstätte anbieten, aber Ziel wäre, es für alle in der Stiftung zu öffnen.» Es soll über die gemeinsame musische Betätigung eine Art sozialer Treffpunkt entstehen. Ausstellungen können der interessierten Öffentlichkeit Einblick in das künstlerische Schaffen und die «Innenwelten» jener Menschen geben, die sonst kaum Beachtung finden.

Kunsttherapeutin Barbara Vetter bestätigt, dass künstlerische Tätigkeit etwas sehr Befreiendes haben kann. Das Fördern der Kreativität und Ausdruckskraft, auch im Hinblick auf die Integration in den Arbeitsmarkt, ist ihr ein wichtiges Anliegen. Durch das abwechselnd angeleitete und freie Arbeiten entdecken die Teilnehmenden ihre eigenen Ressourcen. Einige können ohne Anleitungen arbeiten, andere brauchen etwas Lenkung. Es gibt einen Unterschied zwischen IV-Rentnern und Personen aus dem Sozialdienst. «Letztere haben mehr Pepp», stellt Barbara Vetter fest. Es sei zwar nicht ihre Aufgabe zu therapieren, aber sie habe die Möglichkeit, auf allfällige Therapiemöglichkeiten hinzuweisen, was von den Sozialdiensten sehr geschätzt werde. «Man kann in den Arbeiten sehr gut die innerlichen Fortschritte sehen.» 

«Living Museum» integriert die Gesellschaft in die Welt der Künstler

Die weltweite Bewegung kämpft gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Ziel ist es, einen stressfreien, unterstützenden und wertschätzenden Raum zu schaffen, in dem Betroffene ein selbstbestimmtes und sinnvolles Leben führen können. Siehe living-museum.com.

Wieder Fuss fassen

Im lichtdurchfluteten Nebenzimmer der Tagesstätte werden Näh- und Strickarbeiten ausgeführt. Im angrenzenden Raum befindet sich eine kleine Schreinerei, wo Martin* Rahmen für Wildbienenhäuschen baut. Der chronische Schmerzpatient wohnt seit einigen Monaten im Battenberg und freut sich, dass er auf seinem Beruf arbeiten kann. «Als meine Beziehung nach 25 Jahren in die Brüche ging, brauchte ich Hilfe, da ich überfordert war mit allem.» Das Ende der Beziehung und die ständigen Schmerzen seien psychisch zu viel gewesen, meint der schlanke blonde Mann. Seit er im Battenberg wohnt, seien die Schmerzen wesentlich zurückgegangen. «Es gibt nun auch schmerzfreie Zeiten» sagt er aufatmend, «ich beruhige mich langsam.» Durch das betreute Wohnen bleibt Martin eine kleinere IV-Rente. «Ich verwalte mein Geld selbst, das ist mir wichtig, auch wenn es knapp ist.» Er möchte irgendwann gerne wieder selbstständig wohnen.

«Das einzig Konstante ist die Veränderung», meint Irene Dill, «wir wissen nie, was der Tag bringt, denn die Teilnehmenden dürfen täglich ihre Beschäftigung wählen, je nach ihrer Befindlichkeit.» Das ist Irene Dill wichtig, denn «sie müssen Entscheidungen treffen können, kleine tägliche Entscheidungen für ihr eigenes Leben».

Iris Meyer 
Redaktorin