«Der Ukrainekrieg zeigt Grenzen der Asylsozialhilfe»

06.06.2022
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Am vergangenen 31. März endete die besondere Lage. Damit ist die Coronakrise zumindest gemäss Epidemiengesetz vorbei. Die erste Evaluation des Bundes stellt der Schweiz ein gutes Zeugnis aus. Bund und Kantone hätten die Pandemie grundsätzlich gut bewältigt und meist angemessen auf die Bedrohung reagiert. Nun kann man einwenden, dass dieses Fazit etwas zu positiv ausfällt und die Krise noch nicht definitiv ausgestanden ist. Unbestritten ist aber, dass die Regelsysteme der sozialen Sicherheit funktioniert haben. Die grösste Wirkung erzielte die Arbeitslosenversicherung mit der ausgebauten Kurzarbeit und zusätzlichen Taggeldern. Die Erwerbsersatzordnung konnte innert Tagen um Leistungen für Selbstständigerwerbende erweitert werden. In der Sozialhilfe blieb der erwartete Anstieg aus. Bis heute liegen die Fallzahlen leicht unter dem Durchschnitt von 2019.

Nicht vergessen dürfen wir aber die Tatsache, dass es insbesondere in der Anfangsphase eine starke Nachfrage an den Lebensmittelabgabestellen gab. Wir erinnern uns gut an die Bilder aus Genf. Hier zeigte sich, dass ein zu stark eingeschränkter Zugang zum Regelsystem der Sozialhilfe in Krisen sehr schnell zu Versorgungsengpässen und prekärer Not führen kann.

Nahtlos auf Corona folgte der Ukrainekrieg. Bis Mitte Mai sind rund 50 000 Geflüchtete aus der Ukraine in der Schweiz angekommen. Zusammen mit Asylsuchenden aus anderen Ländern wird dieses Jahr mit 100 000 Personen oder sogar mehr gerechnet, das würde eine Verdoppelung der Zahl von Unterstützten im Asyl- und Flüchtlingsbereich bedeuten. Der Ukrainekrieg bringt damit die Regelsysteme noch mehr als die Coronakrise an ihre Grenzen. Die grosse Solidarität in der Bevölkerung ermöglicht eine Unterbringung in Privatunterkünften in einer ersten Phase. Viele Sozialdienste sind dabei aber doppelt gefordert. Sie müssen neben den Geflüchteten auch Gastfamilien betreuen, bei denen es zu Problemen kommt.

Mittel- und langfristig wird aber die Unterbringung der Geflüchteten in eigenen Wohnungen zur Regel werden. Dann werden auch die aktuellen Sonderregelungen für Personen mit Status S wie kostenloses Reisen im Zug oder Gratishandyabos wegfallen. Spätestens dann wird zu klären sein, wie hoch der Grundbedarf für Personen in der Asylsozialhilfe sein soll. Mit dem von der SKOS empfohlenen Grundbedarf wird sichergestellt, dass Unterstützte ihren Lebensunterhalt auf sehr bescheidenem Niveau bestreiten können. Sie zahlen damit alles, was im Leben anfällt, vom Essen über das Busbillett bis zu den Serafe-Gebühren.

Die kantonalen Ansätze in der Asylsozialhilfe liegen aktuell zum Teil unter der Hälfte des SKOS-Grundbedarfs. Sie sind auf ein Leben in einer Kollektivunterkunft und eine kurze Aufenthaltsdauer in der Schweiz ausgerichtet. Wenn wir den Geflüchteten, die länger in der Schweiz bleiben, eine würdige Existenz sichern und ihre Integration in den Arbeitsmarkt fördern wollen, werden wir nicht umhinkommen, uns auch bei diesen Gruppen an der Regelsozialhilfe zu orientieren. Das Anstehen bei Gratislebensmittelabgaben als Ergänzung für zu knappe Sozialhilfeleistungen stellt dazu keine vernünftige Alternative dar.

Markus Kaufmann
Geschäftsführer SKOS