
Die gesundheitlichen und sozialen Folgen
Verschuldung ist in der Schweiz ein weitverbreitetes Phänomen. Eine Studie der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne zeigt auf, dass Zahlungsrückstände die psychische und physische Gesundheit der Betroffenen stark beeinträchtigen. Die Studie zeigt zudem einen geschlechtsspezifischen Umgang mit Schulden und schlägt Massnahmen auf mehreren Ebenen vor.
In der Schweiz leben mehr als 40 Prozent der Bevölkerung in einem Haushalt, der mit Schulden (ohne Hypothekarschulden) konfrontiert ist. Zahlungsrückstände nehmen dabei einen besonders besorgniserregenden Platz ein. Zahlungsrückstände – mehrheitlich im Zusammenhang mit Krankenkassenprämien und Steuern – betrafen laut den jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik mehr als eine von acht Personen. Zahlungsrückstände sind die problematischste Art von Schulden, da sie keine angemessene Planung der Rückzahlung ermöglichen und im Gegensatz zu Krediten und Leasingverträgen keinem gesetzlichen Rahmen unterliegen. Zahlungsrückstände sind oft ein Zeichen für anhaltende wirtschaftliche Schwierigkeiten und betreffen vor allem Alleinerziehende und Armutsgefährdete. Diese Art der Verschuldung geht mit besonderen Belastungen (Mahnungen, Fälligkeiten, Gebühren und Betreibungen) und psychosozialem Stress (Scham und Stigmatisierung) einher und kann infolge von Einträgen im Betreibungsregister auch den Zugang zu Wohnraum oder Beschäftigung einschränken. Die Studie «Verschuldung und Gesundheit» aus Lausanne, hat insbesondere die Auswirkungen von Zahlungsrückständen auf die Gesundheit hat untersucht.
Vielfältige Auswirkungen von Schulden auf die Gesundheit
Die Studie zeigt: Verschuldung hat erhebliche und vielfältige gesundheitliche Folgen. Vor allem das Auftreten von Zahlungsrückständen hat einen signifikanten und unmittelbaren negativen Effekt auf die psychische Gesundheit: Angstzustände und depressive Gedanken nehmen bei Betroffenen zu. Verschuldete Personen leiden zudem häufiger an Kopf- und Rückenschmerzen, chronischer Müdigkeit und Schlaflosigkeit als nicht verschuldete Personen. Schulden können auch zu gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen führen, z. B. zu Alkohol- oder Tabakkonsum, der dann zum Stressabbau eingesetzt wird. Um ihre Schulden zu begleichen, reduzieren verschuldete Personen manchmal ihre Ernährung oder deren Qualität. Die Studie zeigt auch, dass verschuldete Personen Schwierigkeiten beim Zugang zu Gesundheitsleistungen haben, da sie oft aus finanziellen Gründen auf notwendige Behandlungen verzichten oder diese aufschieben müssen, im Durchschnitt sogar häufiger als in Armut lebende Personen.
Je länger die Verschuldung andauert, desto schlimmer werden die gesundheitlichen Folgen. Mit anderen Worten: Man gewöhnt sich nicht daran, mit Schulden zu leben. Im Gegenteil, es kann eine sich selbst verstärkende Spirale in Gang gesetzt werden. Wenn Schulden die psychische Gesundheit verschlechtern, ist die Fähigkeit der verschuldeten Personen, ihre Finanzen zu verwalten, eingeschränkt, was ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch verstärken und damit ihre psychische Gesundheit weiter beeinträchtigen kann. Diese Erkenntnisse sind besorgniserregend, wenn man bedenkt, dass Verschuldungssituationen oft viele Jahre andauern und die Betroffenen dazu neigen, sich erst spät an eine auf Schulden und Schuldenabbau spezialisierte Stelle zu wenden.
Schulden wirken sich nicht nur negativ auf die Gesundheit aus. Die Studie zeigt, dass bei Verschuldung ein hohes Risiko besteht, dass auch andere Dimensionen des Lebens betroffen sind, z. B. Bildung oder Arbeit (z. B. in Bezug auf Produktivität und Fehlzeiten), Wohnen oder Freundschafts- und Familienbeziehungen. Die Folgen der Verschuldung betreffen nicht nur die verschuldete Person, sondern alle Mitglieder des Haushalts. Spannungen innerhalb des Haushalts können die negativen Auswirkungen der Verschuldung auf die Gesundheit noch verstärken.
Die unsichtbare Arbeit der Frauen
Die Studie zeigt auch, dass die geistige, emotionale und körperliche Belastung bei Frauen noch grösser ist. In der Schweiz sind sie es, die in der Mehrheit der verschuldeten Haushalte die Finanzen verwalten und allein die administrative Verantwortung tragen. Diese «Schuldenarbeit» umfasst wie ein Eisberg nicht nur die sichtbaren finanziellen und administrativen Tätigkeiten, sondern auch eine Reihe von unsichtbaren Tätigkeiten. Erstere bestehen aus den formalen und konkreten Aufgaben: ein Budget aufstellen, Rechnungen begleichen oder Rückzahlungen organisieren. Der verborgene Teil beinhaltet: die Hilfe von Verwandten in Anspruch nehmen, das soziale Image und den Ruf der Familie wahren, die persönlichen Ausgaben einschränken und den täglichen Stress bewältigen. Diese Schuldenarbeit beinhaltet nicht nur finanzielle und administrative Anstrengungen, sondern auch erhebliche häusliche, emotionale, körperliche und beziehungsbezogene Belastungen. Die Studie zeigt, dass diese Rolle der Schuldenverwalterin auf paradoxe Weise erlebt wird. Sie erhöht die gesundheitliche Anfälligkeit der Frauen bei Haushaltsschulden, kann ihnen aber auch eine ganz neue Handlungsfähigkeit verleihen, nämlich die, ihre Angehörigen, vor allem die Kinder, vor den schädlichen Folgen der Verschuldung zu schützen.
Handlungsempfehlungen
Auf politischer Ebene
- Die Einführung echter Entschuldungsmechanismen (vgl. Seite 18) wie der geplanten Änderung des Betreibungsgesetzes, die verschuldeten Personen eine konkrete Ausstiegsperspektive bieten und damit die negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit verringern würde.
- Regulierung der Kosten des Gesundheitssystems: Krankenversicherungsprämien, Selbstbehalte und Kostenbeteiligungen sowie Verbesserung der Gewährung und Ausrichtung von Zuschüssen, damit die Haushalte unterstützt werden, die am stärksten von wirtschaftlicher Unsicherheit betroffen sind.
Auf der Ebene der sozialen Intervention
- Förderung eines interdisziplinären Ansatzes, der finanzielle Hilfe, psychosoziale Unterstützung und medizinische Betreuung kombiniert, um eine gemeinsame und koordinierte Behandlung der Verschuldung und ihrer gesundheitlichen Herausforderungen zu ermöglichen.
- Angemessene Unterstützung anbieten, sobald ein Zahlungsrückstand entsteht, und Massnahmen stärken, die auf den Handlungsfähigkeiten der Betroffenen und ihren sozialen Ressourcen basieren. Besondere Aufmerksamkeit sollte denjenigen gewidmet werden, die innerhalb des Haushalts für die Verwaltung der Schulden verantwortlich sind, was häufig die Frauen sind.
Auf wissenschaftlicher Ebene
- Systematische Einbeziehung von schuldenbezogenen Indikatoren in die grossen Schweizer Erhebungen zu Gesundheit, Armut und Verzicht auf Gesundheitsversorgung.
- Genaue Messung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von schuldenbedingten Gesundheitsproblemen (zusätzliche Ausgaben, indirekte Kosten, geringere Produktivität usw.), um ihre Bedeutung für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft im Allgemeinen zu bewerten.
- Untersuchung und Anpassung der Strategien und Systeme in anderen Ländern, die innovative Formen der Koordination zwischen Sozial- und Gesundheitsdiensten erprobt haben, um auf Verschuldungssituationen zu reagieren.
QUELLE
Die multimethodologische Studie über die Zusammenhänge zwischen Verschuldung und Gesundheit in der Schweiz (2020–2025) wurde an der Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheit in Lausanne (HETSL/HES-SO) durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziert. Der Abschlussbericht der Studie ist online verfügbar, ebenso wie alle Veröffentlichungen.
www.hetsl.ch/santedette