Dürfen Sozialhilfeorgane mündliche Entscheide fällen?
In der Sozialhilfe werden Entscheide häufig mündlich getroffen und in Aktennotizen festgehalten. Dies erleichtert den Prozess und fördert das Vertrauen zwischen Fachpersonen und unterstützten Personen. Doch wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt, ist eine schriftliche Verfügung notwendig, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Lucia Blumer bezieht seit rund einem Jahr Sozialhilfe. In einem Gespräch mit ihrem Sozialarbeiter legt sie ein Rezept für eine Brille vor und bittet um die Kostenübernahme. Ihr Betreuer sagt ihr, dass eine neue Brille gemäss Rezept übernommen werde, das Brillengestell aber maximal 200 Franken kosten dürfe. Nach dem Gespräch hält er die Abmachung in einer Aktennotiz fest. Etwa zwei Wochen später trifft die Rechnung des Optikers ein, und der Sozialarbeiter stellt fest, dass das Brillengestell 250 Franken kostet. In telefonischer Rücksprache mit Lucia Blumer sagt ihm diese, er habe ihr am Gespräch gesagt, das Brillengestell dürfe ungefähr 200 Franken kosten, weshalb sie davon ausgegangen sei, dass auch ein etwas teureres Gestell übernommen werde.
↗Fragen
Ist es zulässig, in der Sozialhilfe mündlich zu entscheiden?
Sollen die Gesamtkosten des Brillengestells oder nur die in der Aktennotiz festgehaltenen 200 Franken übernommen werden?
↗Grundlagen
In der Praxis der Sozialhilfe werden Entscheide regelmässig von den fallführenden Fachpersonen getroffen. Insbesondere infolge der Prinzipien der Individualisierung und Bedarfsdeckung (vgl. SKOS-RL A.3.) kann sich das soziale Existenzminimum von Klientinnen und Klienten von Monat zu Monat verändern. Gerade situationsbedingte Leistungen (SIL) (vgl. SKOS-RL C.6.) werden dabei häufig auf Grundlage eines mündlichen Entscheids ausgerichtet. Grundversorgende SIL wie beispielsweise Kosten für die auswärtige Verpflegung werden auf der Basis einer Lohnabrechnung direkt angerechnet und ausbezahlt. Für Brillen, Zahnbehandlungen oder fördernde SIL werden teilweise schriftliche Kostengutsprachen erstellt oder mündlich bewilligte Kostenrahmen wie im Falle von Lucia Blumer in einer Aktennotiz festgehalten.
Mündliche Entscheide sind aus verwaltungsökonomischer Betrachtung sinnvoll, da sie den Prozess beschleunigen und vereinfachen. Auch kann es mit Blick auf ein gutes Arbeitsbündnis mit den unterstützten Personen schneller und vertrauensfördernd sein, wenn nicht jede Änderung der Unterstützungssumme schriftlich verfügt wird. Gleichermassen ist zu beachten, dass stark einschneidende oder für die Klientel nachteilige behördliche Entscheide schriftlich in Form einer Verfügung zu erlassen sind. Die SKOS-Richtlinien – sowie das Bundesgericht – unterstreichen in diesem Zusammenhang, dass insbesondere Leistungseinstellungen immer schriftlich und nach verfahrensrechtlichen Vorgaben zu erfolgen haben und formlose und damit mündliche Einstellungsentscheide unzulässig sind (SKOS-RL F.3. Erläuterungen b). Des Weiteren ist auf Verlangen der betroffenen Person eine Verfügung zu erlassen. Dazu muss ein schutzwürdiges Interesse vorliegen, was in der Regel bei einem Entscheid in der Sozialhilfe der Fall ist. Insbesondere wenn die unterstützte Person mit einem Entscheid nicht einverstanden ist oder dieser zu ihrem Nachteil gereicht (bspw. Nichtgewährung einer SIL), hat sie ein Recht auf eine schriftliche, anfechtbare Verfügung (vgl. Art. 34 Abs. 2 VwVG).
Der mündliche Entscheid ist damit in der Sozialhilfe zulässig, wenn es insbesondere um die Ausrichtung von SIL geht und dieser klar kommuniziert und idealerweise rückversichert wird. Vorbehalten bleiben Sachverhalte, in denen kantonale Bestimmungen zwingend die Schriftlichkeit für Entscheide in der Sozialhilfe verlangen. Es ist zu beachten, dass mündliche wie schriftliche Entscheide fachlich begründet und in einem sinnvollen Verhältnis zum erzielten Nutzen stehen müssen (vgl. SKOS-RL C.6.1. Erläuterungen a). Wird ein Entscheid in einer Aktennotiz festgehalten, ist diese verfahrensrechtlich nicht bindend. Besteht eine widersprüchliche Einschätzung über eine Leistung zwischen der unterstützten Person und der Behörde, ist der Erlass einer schriftlichen Verfügung erforderlich. Mit Blick auf einen gelingenden und zielführenden Hilfsprozess kann in konflikthaften Situationen das schriftliche Verfügen einer SIL die Zielerreichung der Sozialhilfe begünstigen.
↗Antworten
Es ist zulässig, dass der Sozialarbeiter die Übernahme des Brillengestells von Lucia Blumer mündlich entscheidet und in einer Aktennotiz festhält.
Der weitere Verlauf der Fallgeschichte zeigt jedoch, dass mündliche Entscheide oder das Verzichten auf eine schriftliche Kostengutsprache zu Problemen führen können. Denn die Einschätzung von Lucia Blumer steht im Widerspruch zur Aktennotiz. Insofern werden die in der Aktennotiz festgehaltenen 200 Franken übernommen. Wenn jedoch Lucia Blumer damit nicht einverstanden ist, hat sie ein Anrecht auf eine anfechtbare schriftliche Verfügung über den mündlich gefällten Entscheid. Um solche Widersprüche zu vermeiden, können auch Merkblätter über spezifische SIL Klarheit schaffen und Missverständnisse verhindern.
Praxis
In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen beantwortet und publiziert, die der SKOS im Rahmen ihrer Beratungsangebote gestellt werden.
Weitere Informationen unter skos.ch → Beratung für Institutionen.