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Finanzierungslücken in der beruflichen Grundbildung für Erwachsene

04.09.2022
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Erwachsene, die eine berufliche Grundbildung nachholen wollen, müssen trotz Verbesserungen weiterhin grosse Hürden überwinden. Eine neue Studie der Schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) zeigt die Finanzierungslücken für die direkten und indirekten Bildungskosten detailliert auf. Die SKOS spricht sich für eine breite Förderung der Nachholbildung für Erwachsene aus.

Rund 10 700 über 25-Jährige machten im Jahr 2020 in der Schweiz einen Berufsabschluss. Für die berufliche Grundbildung für Erwachsene gibt es diverse Finanzierungsmöglichkeiten. Das Zusammenspiel der verschiedenen Systeme ist jedoch komplex und weist Lücken auf. Letzten Juni erschien hierzu eine landesweite Bestandsaufnahme. Der Bericht bietet eine präzise Übersicht über mögliche Formen der Unterstützung bei der beruflichen Grundbildung für Erwachsene. Anhand der Konstruktion von sieben Modellpersonen werden Unterschiede in den Kantonen und Finanzierungslücken ersichtlich.

Die SKOS betrachtet die Studie als wichtige Grundlage für weitere Optimierungen. In einem Positionspapier greift die SKOS die wichtigsten Ergebnisse auf und empfiehlt Massnahmen zur Förderung der beruflichen Grundbildung für Erwachsene mit dem Ziel der Prävention vor Armut und Sozialhilfeabhängigkeit.

Bei den Kosten für die berufliche Grundbildung wird zwischen direkten und indirekten Kosten unterschieden. Direkte Bildungskosten sind Ausgaben, die direkt für die Ausbildung anfallen, etwa Anmeldegebühren oder Unterrichtsmaterial.

Direkte Bildungskosten

Die direkten Bildungskosten sind generell besser gedeckt als die indirekten Bildungskosten. Die Berufsschulvereinbarung leistet hier einen wichtigen Beitrag. Dennoch bestehen Finanzierungslücken, insbesondere bei den überbetrieblichen Kursen für Ausbildende ohne Lehrvertrag und bei Kosten für Anmeldungen, Qualifikations- und Abschlussverfahren. Auch gibt es eine Ungleichbehandlung von Personen mit und ohne Erstabschluss. Zudem sind Informations- und Beratungsangebote nur in der Hälfte der Kantone kostenlos für Erwachsene. Die SKOS empfiehlt, die Finanzierungslücken für die überbetrieblichen Kurse zu schliessen, Personen mit und ohne Erstabschluss gleichzustellen und den Zugang zu Informations- und Beratungsangebote unentgeltlich zu machen.

Indirekte Bildungskosten

Indirekte Bildungskosten entstehen durch Einkommenseinbussen. Lernende der beruflichen Grundbildung erzielen während der Lehre meist einen tieferen Lohn als bei einer regulären Erwerbstätigkeit. Indirekte Bildungskosten sind laut Forschungsstand das Haupthindernis für die berufliche Grundbildung für Erwachsene. Es gibt in der Schweiz zahlreiche Finanzierungsquellen, die die indirekten Bildungskosten kompensieren können. Es bestehen jedoch Zugangshürden, ferner unterscheiden sich die Regeln von Kanton zu Kanton.

Einerseits gibt es Ausbildungsbeiträge – Stipendien und Darlehen – zur Deckung der indirekten Bildungskosten. Diese liegen im Zuständigkeitsbereich der Kantone. Die Zugangsschwellen sind zahlreich: Altersgrenzen, die Anwesenheitsbewilligung und Aufenthaltsdauer, Zweitausbildungen oder ein eng definierter Weg zum Berufsabschluss, um nur einige zu nennen.

Die SKOS plädiert dafür, die Altersgrenzen für Ausbildungsbeiträge zu erhöhen, verschiedene Wege zum Berufsabschluss einzubeziehen, migrationsrechtliche Hürden abzubauen und Umschulungen zuzulassen. Zudem ist es wichtig, dass Ausbildungsbeiträge die Lücke zum Existenzminimum decken, damit nicht gleichzeitig zwei Systeme Leistungen erbringen müssen. Mit diesen Massnahmen soll die Zahl an Stipendien für Erwachsene in beruflicher Grundausbildung um 50 Prozent von heute 3200 auf 4800 im Jahr 2027 erhöht werden.

Andererseits kann die Arbeitslosenversicherung sogenannte Ausbildungszuschüsse gewähren. Zielgruppe sind Personen ohne Berufsabschluss / ohne anerkannten Berufsabschluss oder mit Schwierigkeiten, in ihrem erlernten Beruf eine Stelle zu finden. Die Versicherten müssen mindestens 30 Jahre alt sein, und die Ausbildungen dürfen höchstens drei Jahre dauern. Die Ausbildungszuschüsse entsprechen der Differenz zwischen dem Lernendenlohn und dem Orts- und branchenüblichen Lohn, maximal aber monatlich 3500 Franken. Kantonal bestehen grosse Unterschiede bei der Gewährung von Ausbildungszuschüssen. Während einige Kantone eine sehr restriktive Handhabung kennen, fördern andere das Nachholen einer beruflichen Grundbildung mit Ausbildungszuschüssen. Insgesamt werden Ausbildungszuschüsse jedoch nur selten geleistet. Im Jahr 2020 profitierten schweizweit 912 Personen, was lediglich 0,4 Prozent der Leistungsbeziehenden der referenzierten Alterskategorie entspricht.

Die SKOS empfiehlt, das Anwenden von Ausbildungszuschüssen in der ALV aktiv zu fördern, und schlägt vor, dass auf nationaler Ebene durch das SECO ein Ziel zur Verdoppelung der Anzahl Ausbildungszuschüsse von heute jährlich ca. 1000 auf 2000 bis ins Jahr 2027 angestrebt wird.

Auch die IV kann Bildungsmassnahmen und indirekte Bildungskosten finanzieren. Rund 15 000 Personen erhielten 2020 eine berufliche Erstausbildung bzw. Weiterbildungen, rund 9000 Personen eine Umschulung. Mit dem heutigen gesetzlichen Rahmen besteht aber eine Hürde für Personen aus dem Tieflohnsektor, weil nach gängiger Praxis Umschulungen nur dann finanziert werden, wenn mindestens eine Lohneinbusse von 20 Prozent vorhanden ist.

Die SKOS sieht die Umschulungsmassnahmen der IV als wichtigen Pfeiler der beruflichen Bildung für Erwachsene und empfiehlt, die Hürden für Umschulungen zu senken. Die SKOS schlägt das Ziel vor, bis zum Jahr 2027 jährlich 13 500 Personen in der IV eine Umschulung zu ermöglichen (gegenüber 9000 Personen im Jahr 2020).

Weiter wurden in der Studie verschiedene kantonale Programme sowie Massnahmen von Branchen und Arbeitgebenden identifiziert, welche die indirekten Bildungskosten der beruflichen Grundbildung von Erwachsenen finanzieren. Sie wurden vier Typen zugeteilt: Stipendien für Personen ohne reguläre Anspruchsberechtigung, kantonalen Fonds zur Entschädigung des Einkommensausfalls beim Weg zum Berufsabschluss über Artikel 32 BBV, kantonalen Ausbildungszuschüssen für Arbeitslose sowie Projekten mit finanzieller Unterstützung und Coaching während der Ausbildung.

Die SKOS begrüsst die branchenspezifischen Bildungsoffensiven und plädiert für einen gezielten Ausbau dieser Massnahmen als Beitrag zur Erreichung des Bildungsziels für Erwachsene über 25 Jahre.

Die Sozialhilfe soll ihren Handlungsspielraum nutzen

Die Sozialhilfe finanziert Bildungsmassnahmen subsidiär zu den vorgelagerten Systemen. Die SKOS empfiehlt den Sozialdiensten, die Aus- und Weiterbildung von Sozialhilfebeziehenden wo immer möglich zu fördern. Im Rahmen der Weiterbildungsoffensive unterstützt die SKOS Sozialdienste bei der Implementierung geeigneter Förderstrukturen.

In der Sozialhilfe sollen bis 2027 50 Prozent mehr erwachsene Sozialhilfebeziehende bis zu einem Abschluss auf Stufe Sek II unterstützt werden. Die SKOS schlägt dafür ein intensiviertes Zusammenspiel zwischen der Sozialhilfe und dem Stipendienwesen vor nach dem Grundsatz «Stipendien statt Sozialhilfe». Hierbei ist die Harmonisierung der Bemessung der Lebenshaltungskosten zwischen dem Stipendienwesen und der Sozialhilfe grundlegend.

Gemeinsamer Konsens nötig

Für die 25-jährige Bevölkerung gibt es das bildungspolitische Ziel, dass 95 Prozent der 25-Jährigen mindestens einen Abschluss auf Sekundarstufe II haben sollen. Für die über 25-Jährigen fehlt bis heute ein entsprechendes Ziel. Um die bestehenden Finanzierungslücken zu schliessen, bräuchte es einen politischen Konsens, dass auch für über 25-Jährige mindestens ein Berufsabschluss angestrebt werden soll. Bisher haben die Sozialversicherungen ALV und IV keinen generellen Auftrag zur Nachholbildung. In der Sozialhilfe ist das Paradigma «Arbeit dank Bildung» erst in den letzten Jahren aufgekommen. Die SKOS spricht sich für einen Paradigmenwechsel aus, der auf eine breite Förderung der beruflichen Nachholbildung bei Erwachsenen abzielt und von den involvierten Akteuren gemeinsam getragen wird. Nur in Zusammenarbeit mit dem Bund, den Kantonen, den Sozialversicherungen und der Wirtschaft können Fördermassnahmen umgesetzt werden. Im Rahmen der heutigen gesetzlichen Bestimmungen ist bereits vieles möglich. Diesen Handlungsspielraum gilt es zu nutzen. Darüber hinaus sind aber auch gesetzliche Anpassungen sinnvoll.

Die Studie: Direkte und indirekte Kosten der beruflichen Grundbildung für Erwachsene: Schweizweite Bestandesaufnahme zu Finanzierungsmöglichkeiten und -lücken. Link

Positionspapier SKOS: Link

Andrea Beeler
SKOS, Fachbereich Grundlagen