Kollektive Soziale Arbeit in der Sozialhilfe – ein neues Kapitel partizipativer Unterstützung
Im Anschluss an das von Artias koordinierte Projekt zur Partizipation (2018), das die positiven Wirkungen kollektiver Ansätze auf unterstützte Personen aufzeigte, ist ein Folgeprojekt entstanden: «Kollektive Soziale Arbeit in der Sozialhilfe». Mit diesem Vorhaben soll erprobt werden, wie Formen gemeinschaftlicher sozialer Arbeit im Rahmen der Sozialhilfe verankert werden können – ein Ansatz, der das bislang stark individualisierte System um neue Perspektiven ergänzt.
Die klassische Sozialhilfe konzentriert sich in erster Linie auf die individuelle Begleitung von Menschen in prekären Lebenslagen. Das neue Projekt fragt jedoch: Was geschieht, wenn wir den Blick erweitern – hin zu Gruppen, die gemeinsam denken, handeln und Verantwortung übernehmen? Kollektive Soziale Arbeit kann unterstützten Personen helfen, Isolation zu überwinden, Selbstwirksamkeit zu erfahren und sich gegenseitig zu stärken. Gleichzeitig profitieren Fachpersonen: Sie können in einem gemeinschaftlichen Rahmen Erfahrungen austauschen, wiederkehrende Themen bündeln und so der eigenen Erschöpfung oder einem drohenden Sinnverlust vorbeugen.
Vier Sozialdienste, ein gemeinsames Projekt
Das Projekt ist interkantonal angelegt und wird von vier Sozialdiensten getragen: dem Regionalverband für Soziale Arbeit im Westen von Lausanne (ARASOL, VD), der regionalen Anlaufstelle für Soziales Littoral Ouest (NE), dem Hospice général (GE) und dem Sozialdienst von Broye (FR). Die Koordination liegt bei Artias, unterstützt von einem Lenkungsausschuss, der die beteiligten Dienste vertritt.
In jeder Dienststelle bilden sich Gruppen, in denen Sozialarbeitende und unterstützte Personen gemeinsam arbeiten. Jede Gruppe wird von einem Moderator oder einer Moderatorin begleitet, der oder die für den respektvollen Austausch, die Qualität der Diskussionen und die Anwendung partizipativer Methoden sorgt. Den Gruppen steht ein Budget von bis zu 2000 Franken zur Verfügung, das sie eigenständig für Aktivitäten, Unkosten oder Projekte einsetzen können.
Jeder Sozialdienst hat die Möglichkeit, der Gruppe ein Thema vorzuschlagen, wenn sie dies wünscht. Dies wird zu einer grossen Vielfalt der in den Gruppen behandelten Themen führen, da einige freie Hand haben und andere ein Ausgangsthema erhalten.
Von der Praxis zur Evaluation
Die Vorbereitungsphase begann im April 2025. Ab November 2025 folgen rund zwölf Monate Gruppenarbeit. Den Abschluss bildet im November 2026 eine öffentliche Veranstaltung, bei der die Gruppen ihre Ergebnisse präsentieren.
Die Evaluation übernimmt die Projektleitung von Artias gemeinsam mit der HETSL. Ziel ist es, Instrumente und Empfehlungen für eine nachhaltige Umsetzung kollektiver Sozialer Arbeit zu entwickeln – und zu zeigen, wie sich diese Ansätze auf unterstützte Personen, Fachkräfte und Institutionen auswirken. Langfristig sollen aus den Ergebnissen praxisnahe Handlungsrahmen entstehen, um kollektive Arbeitsformen in der Sozialhilfe zu fördern und zu verstetigen.
Perspektive: Schulung und Sensibilisierung
Eine weitere wünschenswerte Ergänzung zum Projekt ist eine Weiterbildung für Sozialarbeitende. Es ist im Moment jedoch noch nicht klar, ob sie zustande kommen wird. Sie könnte Fachpersonen befähigen, selbst kollektive Prozesse zu moderieren und entsprechende Projekte eigenständig umzusetzen. Mehrere Sozialdienste haben bereits Interesse signalisiert. Die finanzielle Unterstützung für das Projekt kommt derzeit vom Innovation Booster, von der Direktion für Gesundheit und Soziales (GSD) des Kantons Freiburg, des Kantons Genf und vom Innovationspool der SKOS. Mit dem Projekt möchte Artias die Bedeutung kollektiver Prozesse in der Sozialhilfe sichtbar machen – als Weg zu mehr Beteiligung, gegenseitiger Unterstützung und nachhaltiger Professionalisierung. Soziale Probleme lassen sich oft besser gemeinsam verstehen – und gemeinsam lösen. (Artias)