Die Gastronomiegenossenschaft Baseltor in Solothurn hat die Krise gut überstanden. Dies auch, weil niemand hinter uns steht, der Gewinne sehen will, ist Vorstandsvertreter Martin Volkart überzeugt.
Im Gespräch

«Soziales Engagement ist Teil unserer Kultur.»

04.09.2021
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In Solothurn gibt es eine reichhaltige Gastroszene, zu der auch die Genossenschaft Baseltor seit über 40 Jahren viel beiträgt. Sie führt drei Restaurants, zwei Hotels, ein kleines Catering sowie seit ein paar Wochen noch eine Cafébar mit Take-away. Auch soziales Engagement gehört selbstredend zu den genossenschaftlichen Werten, wie Martin Volkart, Delegierter des Vorstands, sagt. Während der Corona-Krise kochten die Baseltor-Köche für die Solothurner Gassenküche.

Herr Volkart, die Gastronomie hat eine extrem schwierige Zeit erlebt. Die Genossenschaft Baseltor eröffnet nach anderthalb Jahren Corona-Krise und Shutdown mit dem «Viktor» ein neues Lokal. Hat die Genossenschaft die Krise so gut überstanden? 

Martin Volkart: Es war für uns, wie für die Gastroszene überhaupt, natürlich eine sehr schwierige Zeit. Die Genossenschaft war ein gesundes Unternehmen, doch Corona hat uns in einem Mass getroffen, das so nicht vorstellbar war. Aber wir sind froh, leben wir hier in diesem Land. Wir erhielten schnell Kredite und konnten damit die Liquidität sichern. Wir erhielten Kurzarbeitsentschädigung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und waren zum Glück gegen eine Pandemie versichert. Jetzt kommt noch die Härtefallentschädigung, sodass wir schliesslich einigermassen gut über die Runden kommen werden. Im vergangenen Sommer lief es zudem wirklich erfreulich gut. Es kamen erstaunlich viele Touristen, gerade aus der Westschweiz.

Haben Sie auch Mieterlass erhalten?

Ja, das haben wir. Die Stadt kam von sich aus auf uns zu. Bei privaten Vermietern waren es intensive Verhandlungen, aber das ist ja normal, denn das sind Geschäftsbeziehungen. Ein Vorteil für uns war sicher, dass wir eine Genossenschaft sind und nicht shareholderorientiert.

Dann lief die Krise letztlich für die Genossenschaft glimpflich ab. Die Genossenschaft musste also keine Angestellten entlassen?

Nein, wir mussten niemanden entlassen. Dies war und ist immer unser oberstes Ziel, und ich bin froh, dass es uns tatsächlich gelungen ist. Die Ausbildung unserer 15 Lehrlinge war natürlich nicht ganz problemlos, da man nicht kochen und servieren konnte. Da mussten wir uns etwas überlegen. Unsere sieben Lehrlinge im Abschlussjahr haben ihre Prüfungen dennoch allesamt mit Bravour bestanden. Es hat uns alle aber sehr viel Energie gekostet. Ich denke, das Naturell von Menschen, die in der Gastronomie arbeiten, ist sicher eher anpackend, offen, kontakt- und festfreudig. Gerade für die Jungen war es eine grosse Belastung, zu Hause eingesperrt zu sein und nichts tun zu können. Zudem scheint die Krise auch ein Moment für Veränderung zu sein. So sind wir davon überrascht worden, wie schwierig es aktuell ist, neue Mitarbeitende zu finden. Arbeiten am Abend und am Wochenende ist offenbar noch einmal unattraktiver geworden.

Liegt es Ihrer Meinung nach auch an der genossenschaftlichen Unternehmensform, dass die Genossenschaft Baseltor so gut durch diese Krise gekommen ist. Sind Genossenschaften krisenresistenter?

Genossenschaften sind ein geniales Konstrukt. Der Vorteil ist vor allem, dass niemand hinter uns steht, der Gewinne sehen will. Nicht das Kapital herrscht, sondern die Genossenschaftler. Wenn von 400 Genossenschaftsmitgliedern eines das halbe Kapital eingebracht hat, hat er oder sie dennoch nur eine Stimme. Es ist damit eine sehr demokratische Unternehmensform. Es gibt keine Shareholder, denen Gewinn ausgeschüttet werden muss. Man kann Reserven äufnen, die Mitarbeitenden am Gewinn beteiligen oder auch die Betriebe laufend in Schuss halten.

Die Angestellten der Betriebe der Genossenschaft Baseltor können auch Genossenschafter werden. Nehmen viele diese Gelegenheit wahr?

Ja. Viele Mitarbeiter sind auch Genossenschafter. Und 2018 erhielt jeder und jede 2000 Franken zusätzlich ausbezahlt, egal welche Funktion oder Aufgabe er oder sie innehatte. Aber es hängt von den Werten ab, die sich die Genossenschaft gibt. Es gibt Genossenschaften die keine gute Wertegrundlage haben und nicht gut funktionieren, und genauso gibt es Aktiengesellschaften die hohe Werte haben. Die Genossenschaft Baseltor hat sich hohe Werte gesetzt. Wir wollen gut zu unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schauen, sie sollen fachlich und menschlich wachsen können. Das gilt besonders für die Lehrlinge. Unsere Mitarbeiter bleiben deshalb überdurchschnittlich lange. Manche bleiben 20, 30 oder 40 Jahre lang bei uns.

Die Genossenschaft wurde 1978 im selbst verwalteten, basisdemokratischen «Löwen» gegründet. Man diskutierte, argumentierte und stritt, tage- und nächtelang, heisst es in den Berichten. Was ist über 40 Jahre später aus der Utopie der Pionierzeit – kollektiv zusammenleben und arbeiten, die Gesellschaft durch Gastronomie und Kultur verändern – geworden? Passt zu den ursprünglichen Ideen ein stetig wachsendes Unternehmen?

Es ist tatsächlich ein Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Es gab auch einige wenige Genossenschafter, die austraten, weil es die Kollektivbeiz, in die sie mal eingetreten waren, nicht mehr gab. Manche sagen, das Baseltor sei mittlerweile ein Konzern, der sich immer mehr einverleibe. Ich denke, man kann nicht 40 Jahre den Pioniergeist der Gründerzeit bewahren und ansonsten nichts tun, sich nicht weiter entwickeln. Man muss jedoch mit den der Genossenschaft zugrunde gelegten Werten mit Sorgfalt umgehen und darf die Grundwerte nicht verraten. Als wir vor über 20 Jahren beschlossen, das «Solheure» zu übernehmen, gab es heftigen Widerstand. Manche fürchteten, das gefährde das Mutterhaus. Im Nachhinein muss man sagen, dass dieser Entscheid und auch die weiteren richtig waren, denn ohne das Wachstum wäre das Unternehmen heute wohl mit grossen wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Aber natürlich darf man auch eine andere Position haben und das falsch finden, was wir machen. Wir wollen hingegen probieren, zu zeigen, dass es möglich ist, mit einem KMU auch in einer schwierigen Branche erfolgreich zu sein und diese Werte gleichzeitig einzuhalten. Und auf die Art, wie wir es machen, können wir eine Ausstrahlung nach aussen haben. Wenn man hingegen nur in einer ganz kleinen Zelle aktiv ist, dann ist die Gefahr gross, dass man nur unter sich bleibt. Dann hätten diese Werte, für die wir stehen, keine Breitenwirkung.

Trotzdem, die Genossenschaft ist seit ihrer Gründung enorm gewachsen, ganz wie ein normales Unternehmen. Wann ist genug?

Natürlich müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht selbst die Gäste wegnehmen, uns sozusagen kannibalisieren. Wir waren bisher ja nicht diejenigen, die Projekte entwickelten und dann Lokale zum Kauf suchten. Es waren immer Opportunitäten von aussen, die wir prüften und wo wir uns überlegten, ob es zu uns passt. Wir hatten in diesem Sinn nie eine Wachstumsstrategie. Solothurn hat nur 17 000 Einwohner, und dennoch gibt es hier so viele gute Beizen. Das ist schon aussergewöhnlich. Wir werden unsere Strategie aber nächstes Jahr überprüfen und dabei auch die Frage der «guten Grösse» selbstkritisch und auch im Kontext von Covid-19 prüfen. 

Die Köche der Genossenschaft kochten im Turnus im April immer dienstags für die Gassenküche Adler. Profis kochten also für jene, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die Gerichte konnten bei der Gassenküche als Take-away abgeholt werden. Welche Rolle spielt das soziale Engagement in der Genossenschaft?

Dass das soziale Engagement Teil unserer Kultur ist, ist selbstredend. Wir bilden Lehrlinge aus, und wir bieten pro Betrieb einer Person, die nicht die volle Leistung bringen kann, einen Arbeitsplatz. Immer wieder beschäftigen wir auch Flüchtlinge. Das funktioniert manchmal gut, manchmal auch nicht. Nicht alles läuft nur über Projekte. Es gibt da zum Beispiel einen älteren Mann, der musste ins Altersheim, aber dort gefällt es ihm nicht. Er kommt nun täglich mit dem Rollator in die «Couronne», die ja unser edelster Betrieb ist, und dort sitzt er oft lange, isst etwas, trinkt etwas. Manchmal zahlt er, manchmal wieder nicht. Das ist total schön. Alle lieben ihn und er uns. Dennoch: Wir arbeiten in einer anspruchsvollen Branche, in der man einfach schauen muss, wie man unternehmerisch gut über die Runden kommt, nicht nur in Krisenzeiten, aber dann ganz besonders. Und wir wollen in jedem Fall Entlassungen verhindern. Dennoch sollten wir uns sicher immer wieder fragen, was wir noch tun könnten. 

Essen gehen ist ja neben dem kulinarischen oft vor allem auch ein soziales Erlebnis. Sich mit Freunden oder mit der Familie im Restaurant zu treffen, ist für viele ein wichtiges soziales Element, viele jedoch können sich das nicht leisten.

Das ist so. Im «Solheure» kann man immerhin für 14 Franken einen Hamburger essen, und man kann auch einfach nur ein Bier trinken. Auch im neuen «Viktor» gibt es preiswerte Kleinigkeiten.

Was ist heute noch das Besondere an einem Genossenschaftsbetrieb, wie unterscheidet er sich von anderen Restaurants? Sind die Arbeitsbedingungen in der Genossenschaft anders als in anderen Gastrobetrieben?

Wir versuchen, wie eine Familie zu sein, nach innen, aber auch nach aussen. Es gibt viele Gäste, die kommen seit 10, 20 oder sogar 30 Jahren. Ins «Solheure» kommen manche jeden Tag, es ist ihr Zuhause. Sie sind auch jetzt wieder da und freuen sich, dass wir wieder geöffnet haben. Besonders sind auch die Arbeitsbedingungen. Wir haben einen Minimallohn, der bei 4000 Franken im Monat liegt. Und das Verhältnis tiefster zu höchstem Lohn ist 1 zu 2,5. Ausserdem können unsere Mitarbeitenden inklusive Lehrlingen in allen Betrieben als Gäste zum halben Preis essen und trinken. Auch haben wir eine Parität zwischen Frauen und Männern im Vorstand, und in den Betriebsleitungen und im Kader liegt der Frauenanteil bei 60 Prozent. Dass die Bedingungen gut sind, sieht man auch daran, dass etwa 25 Mitarbeitende schon 10 Jahre im Unternehmen sind, die Hälfte davon seit über 20 Jahren.

Der erste Präsident vom Baseltor war der im Juni verstorbene Künstler Schang Hutter. Welche Rolle spielt die Kunst heute noch in der Genossenschaft?

Am Anfang erhielten wir von vielen Künstlern Kunstwerke. Irgendwann waren die Räume vollgehängt bis zur Küche runter. Klar könnten wir in den Restaurants Ausstellungen organisieren, aber das ist aufwendig, und die Geschmäcke sind sehr unterschiedlich. Und da wir eine Genossenschaft sind, müsste es eine demokratische Geschmacksfindung geben, was ein vielleicht eher komplexes Unterfangen wäre. Es ist auch einfach beschränkt Energie vorhanden, um solche Projekte neben dem Alltäglichen zu realisieren.

Die Genossenschaft scheint ein fester Bestandteil von Solothurn zu sein. Was möchten Sie noch erreichen oder wie sie weiterentwickeln?

Ich denke, dass wir ein wertvoller Teil in Solothurn sind. Als Gastrobetrieb leisten wir einen Beitrag an eine lebenswerte Stadt. Das spürte man gerade jetzt durch diese Krise. Ich denke, dass die Werte der Genossenschaft viel mit der lokalen Verbindung mit dem Ort zu tun haben und deshalb wirklich etwas fehlen würde, wären die fünf Beizen und Restaurants der Genossenschaft Baseltor nicht da. Für die Zukunft geht es nach Covid-19 vorerst darum, eine gesunde Basis im Unternehmen zu garantieren. Mit den Herausforderungen rund um die Suche von guten Mitarbeitenden wollen wir uns als wirklich vorbildlicher Arbeitgeber weiter verbessern. Ich denke, es sind schliesslich meist nicht die grossen Würfe, die eine gute Gastronomie und Hotellerie ausmachen, sondern das tägliche engagierte Arbeiten mit viel Herz.

Das Baseltor – vom «Löwen» zuR «Couronne», von der Utopie zu Gault-Millau

Die Geschichte der Genossenschaft Baseltor in Solothurn beginnt 1978 im selbst verwalteten, basisdemokratischen «Löwen». Neben den langen Arbeitstagen im gut besuchten «Löwen» werden zusätzlich am Sonntag Entscheidungen in Vollversammlungen gesucht. Es wird diskutiert, argumentiert und gestritten. Was zählt, sind der Idealismus und die Begeisterung fürs Kollektiv bei gleichem Lohn für alle. 1992 erfolgt der Umzug ins ehemalige «Chez Derron» im Domherrenhaus bei der St. Ursen-Kathedrale. Die Liegenschaft wird gekauft, renoviert und mit 6 (heute 17) Hotelzimmern ausgestattet. Beim Umbau wird die alte Bausubstanz geschickt mit neuen Elementen kombiniert, wofür die Genossenschaft Baseltor auch einen Architekturpreis gewinnt. Aus den Utopien der Anfangszeit wird in den 90er-Jahren vermehrt die Hingabe für eine gute Gastronomie. Anstelle eines Kollektivs (das allerdings auch Häuptlinge kannte) entscheidet eine partnerschaftliche Betriebsleitung, und kein Gast wird mehr vom Service geschnitten, nur weil er in dessen Augen ein «Bünzli» ist. Das Baseltor erhält als Genossenschaftsbeiz einen Eintrag im Gault-Millau, auch wenn die Tester anfänglich noch etwas skeptisch von «Körnlipickern» und «Matriarchat» berichten. Mit einem Strandbeizli namens «Solheure» ist die Genossenschaft Baseltor ab 1998 für drei Saisons am Aareufer tätig, kompensiert so das im Sommer etwas trägere Geschäft an der Hauptgasse und belebt gleichzeitig das Aareufer. Im November 2009 erfolgt die Eröffnung des Restaurants «Salzhaus» im Breggerhaus am Landhausquai. Beim Umbau geht es auch um ein neues Stück Kultur für Solothurn. Auch hier wird Alt und Neu stimmig verbunden, der Mix aus historischen Wänden und Gewölbekeller mit Beton, Eichenparkett und Messingleuchtern schafft ein einzigartiges Ambiente. Die Fusion-Gerichte und der Service werden mit 14 Gault-Millau-Punkten ausgezeichnet. Mit der Gründung von HOCH3 Catering bündelt die Genossenschaft Baseltor ab 2014 die Cateringaktivitäten der damals drei Betriebe. Der einmalige barocke Rittersaal im Von-Roll-Haus am Fuss der St. Ursen-Kathedrale gehört seit Frühjahr 2015 zu HOCH3 Catering. Im Frühling 2017 wurde schliesslich das Hotel Restaurant «La Couronne» nach über zweijähriger Totalsanierung in Betrieb genommen. Die Küche des Restaurants der «Couronne» erhielt auf Anhieb 13 Gault-Millau-Punkte.

www.genossenschaft-baseltor.ch