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Zugang zu Sozialdiensten: Der Erstkontakt ist entscheidend

02.09.2024
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Sozialhilfe ist ein Recht. Wenn auch unbestritten, ist die Inanspruchnahme für Anspruchsberechtigte oftmals eine grosse Herausforderung. In manchen Fällen ist die Hürde so hoch, dass die Menschen lieber darauf verzichten. ATD Vierte Welt beschreibt, was es braucht, damit Ratsuchende Vertrauen fassen.

Die Bewegung ATD Vierte Welt arbeitet mit Menschen, die Erfahrungen mit prekären Lebensumständen gemacht haben. Von 2019 bis 2023 führte sie eine partizipative Studie mit dem Titel «Armut – Identität – Gesellschaft» durch. Dadurch wurden das gute Funktionieren und die Probleme unserer Gesellschaft und unserer Institutionen aufgezeigt, die sich der Unterstützung der am stärksten gefährdeten und ausgegrenzten Mitglieder widmen. Dank der Beteiligung und der gemeinsamen Arbeit von Wissenschaftlern, Fachleuten und Menschen, die in prekären Situationen leben, konnten bestimmte Tatsachen und Mechanismen aufgezeigt werden. Insbesondere wurde deutlich, dass ein gegenseitiges Verständnis zwischen den Betroffenen und den Fachleuten in diesem Bereich entwickelt werden muss, wenn die geplante Hilfe tatsächlich den Bedürfnissen gerecht werden soll.

Die Herausforderungen

Der Zugang zur Sozialhilfe bedeutet für die Betroffenen, dass sie sich mehreren Herausforderungen stellen müssen. Die erste ist sicherlich, zu wissen, dass es eine solche Unterstützung gibt und dass man Anspruch darauf hat. Viele Menschen kennen ihre Rechte nicht und wissen nicht, wo sie Unterstützung bekommen können.

Die zweite Herausforderung besteht darin, den Schritt zu wagen und sich an die Sozialdienste zu wenden. Dieser Weg kann lang sein, und es liegt an der betroffenen Person, ihn zu gehen. Der Moment, in dem der Betroffene mit seiner ganzen Geschichte zum ersten Mal mit dem Dienst in Kontakt kommt, ist jedoch entscheidend. Ein Betroffener sagt: «Ein gut gemachter Empfang spart Zeit und Geld, und das ist der Punkt, an dem sich alles entscheiden kann.» Was aber versteht man unter einem guten Empfang?

Stress beim Erstkontakt

Der Empfang findet auf mehreren Ebenen statt: «Wenn du in die Räumlichkeiten kommst, bist du schon gestresst, du fragst dich, was du sagen wirst, du registrierst, wie man dich ansieht, wie man dich empfängt, ob man dir etwas zu trinken anbietet. Wo wirst du gebeten, dich zu setzen? Die Begrüssung beginnt hier. Und das bestimmt den Ton für die gesamte folgende Zusammenarbeit.»

Die Person, die sich an den Sozialdienst wendet, unternimmt einen für ihr Selbstwertgefühl sehr kostspieligen Schritt. Sie muss die Scham überwinden, um Hilfe bitten zu müssen und damit anzuerkennen, dass sie es allein nicht schafft. Eine Fachkraft, die die Gelegenheit hatte, diese Gefühle mit Rat suchenden Menschen zu erleben, beschreibt, wie sie seither diesen wichtigen Aspekt des ersten Kontakts und die ersten Momente pflegt: «Ich achte auf den anderen, damit er oder sie sich von Anfang an wohlfühlt und nicht unnötigen zusätzlichen Stress erlebt, weil es etwa zu heiss ist und man im Raum die Fenster nicht öffnen kann.»

Auch die Art und Weise, wie die Person zum Erstgespräch eingeladen wird, legt den Grundstein für die Zusammenarbeit. Wenn der erste Termin gemeinsam mit der betroffenen Person festgelegt werden kann und man dabei darauf achtet, dass es für die Person ein guter Zeitpunkt ist, sie die materiellen Mittel hat, um dorthin zu kommen, sie allenfalls eine Kinderbetreuung hat usw., wird sie unter besseren Bedingungen eintreffen.

Eine andere Fachkraft teilt die Erkenntnis ihres Teams, dass es wichtig ist, eine leichter zugängliche Dokumentation in vereinfachter Sprache zu erstellen. Damit wird vermieden, dass die Person von Anfang an Schwierigkeiten hat und in eine Abhängigkeit gerät.

Jemand sein

Diese organisatorischen und materiellen Details bestimmen die Aufnahmepolitik schon vor der ersten Begegnung: Die Aufmerksamkeit wird auf die betroffene Person gerichtet, was zeigt, dass sie ernst genommen wird, dass man sich um ihre individuellen Bedürfnisse kümmert. Eine Person, die diese Dienste in Anspruch genommen hat, teilt uns ihr Grundbedürfnis mit: «Was ich gerne hätte, ist das Gefühl, dass ich keine Akte bin, sondern ein Mensch. Und dass ich sehe, dass diese Person mir helfen will, weil ich wichtig bin.»

Zwei Welten, die sich begegnen

Unabhängig vom guten Willen des einen oder anderen bringt dieser erste Kontakt zwei Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen und Lebensumständen zusammen: Auf der einen Seite eine Fachperson, die für die Einhaltung des Gesetzes garantieren muss, und auf der anderen Seite eine Person in Schwierigkeiten, die mit ihrer Geschichte in diese Begegnung eintritt – und ihre Würde aufs Spiel setzt.

Die von der Sozialarbeitenden gestellten Fragen dringen in die Intimsphäre der Menschen ein: «Dein Privatleben, deine Psyche werden durchforstet. Du bist derjenige, der zum Sozialdienst geht, aber du hast das Gefühl, dass du deine ganze Familie mit hineinziehen wirst», berichtet eine Betroffene. «Diese Fragen rütteln an deiner Geschichte.» Manche Betroffene haben das Gefühl, ihre Familie zu verraten, was sie nicht wollen. Man sollte schrittweise vorgehen und sich genügend Zeit nehmen, damit die betroffene und die sozialarbeitende Person ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. «Und wenn der Funke nicht überspringt, sollte man die Ehrlichkeit und die Freiheit haben, auf beiden Seiten zu sagen, dass eine andere Person besser wäre. Die Aufnahme sollte eine Schleuse sein, in der beide Personen sich beschnuppern und sagen können: Ja, wir können ein Stück des Weges gemeinsam gehen.»

Vertrauen oder Entmündigung

Im Anschluss an die Forschungsarbeit «Armut - Identität - Gesellschaft» führte ATD Vierte Welt mit Partnern ein Projekt durch: Mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines regionalen Sozialdienstes und Personen mit Erfahrung in Sozialdiensten, die in prekären Situationen leben, wurde ein Raum für gemeinsame Reflexionen geschaffen.

Die Fachkräfte hatten den Eindruck, «dass wir uns in zwei verschiedenen Welten befanden, mit vielen Schwierigkeiten, miteinander zu sprechen und einander zu verstehen». Dadurch wurde ihnen bewusst, wie sehr ihre eigene berufliche Realität von jener der Betroffenen abweicht und dass die Betroffenen möglicherweise noch hilfloser sind, als sie dachten: «Manche Menschen erzählen uns vielleicht nur einen Teil ihrer Notlage, aus Scham oder Demut.»

Ein weiterer Aspekt, der aus diesen Treffen hervorging, war das Gefühl der Hilfesuchenden, «sich entblössen und alle Macht abgeben zu müssen». Wenn sie bei einem ersten Gespräch mehr als ein Dutzend Dokumente vorlegen und eine Vollmacht unterschreiben müssen, die den Sozialdienst ermächtigt, alle Informationen im Zusammenhang mit ihrer persönlichen und finanziellen Situation einzuholen, fühlen sich die Betroffenen ihrer Handlungsfähigkeit beraubt. Den Fachkräften, die an diesem Projekt teilnahmen, war dieses Gefühl der Entmündigung nicht bewusst – oder es schien ihnen «das Mindeste zu sein [solche Informationen bereitzustellen], wenn man Hilfe vom Staat haben will». Dies ist ein gutes Beispiel für die Diskrepanz und die Überlegenheit der einen Welt über die andere: «Wenn ich schon nach dem ersten Treffen erfahre – denn ich kann überall Informationen einholen –, dass die Person nicht alles gesagt oder gelogen hat, kann ich ihr später nicht mehr vertrauen.»

Natürlich werden bestimmte Informationen im Rahmen eines Sozialhilfeantrags rechtmässig verlangt. Aber die Tatsache, dass man bereits beim ersten Termin und in einem Klima des Verdachts sehr persönliche Informationen liefern muss, «bricht» die Person und wirkt sich auf sie und ihr Umfeld aus. Betroffene berichten, dass sie unter Druck stehen, all diesen Anfragen nachkommen zu müssen, ohne dass sie den Grund dafür sehen und ohne jegliche Kontrolle darüber, was mit diesen Informationen geschieht. Sie berichten oft, dass sie sich nicht verstanden fühlen, keine gemeinsame Basis finden und von vornherein verurteilt werden, was sie manchmal dazu veranlasst, auf ihre Rechte zu verzichten.

Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Betroffenen einzubeziehen, um nach bewährten Praktiken zu suchen und sinnvolle Veränderungen mitzugestalten. «Wahres Gold schlummert in unseren Diensten: das Wissen, die Ideen und die Vorschläge jener Menschen, die Hilfe in Anspruch nehmen.»

Camille Jacot
ATD Vierte Welt (Verbündete)