Der Hausbesuch gehört zu den Abklärungsmethoden der Sozialinspektoren.
Unrechtmässiger Bezug von Sozialhilfe

Verein Sozialinspektion geht Verdachtsfällen nach

04.09.2021
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Der Kanton Bern hat seit 2012 den Verein Sozialinspektion mit der Abklärung der Verdachtsfälle beauftragt. Nach ursprünglicher Skepsis gegenüber der Auslagerung überzeugte die meisten Sozialdienste schliesslich der Einsatz der Sozialinspektoren. Denn sie befreiten nun die Sozialarbeitenden von der widersprüchlichen Doppelrolle als Beraterin und Inspektorin.

Bei begründetem Verdacht auf Sozialhilfemissbrauch klären die Fachleute des Vereins Sozialinspektion die Arbeits-, Familien-, Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse von Sozialhilfeklientinnen und Sozialhilfeklienten ab. Voraussetzung für einen Inspektionsauftrag ist, dass der Sozialdienst vorgängig alle eigenen Möglichkeiten zur Ermittlung des Sachverhalts ausgeschöpft hat. Die Sozialinspektorinnen und Sozialinspektoren verfügen über eine abgeschlossene und anerkannte Ausbildung auf Tertiärstufe oder eine gleichwertige Ausbildung auf Tertiärstufe oder eine gleichwertige Ausbildung im juristischen Bereich, im Sozialbereich oder im Sicherheitsbereich. Einen spezifischen Ausbildungslehrgang für Sozialinspektoren gibt es nicht. Das nötige (Fach-)Wissen wird sich laut Geschäftsführer Roger Schürch während der täglichen Arbeit angeeignet. Zudem müssen die Inspektoren diverse Kurse im Bereich Sozialhilfe absolvieren.

Es sei nicht Ziel des Vereins, möglichst viele potenzielle Delinquenten zu überführen, sagt Roger Schürch. «Erfolgreich sind wir, wenn wir feststellen können, dass alles in Ordnung ist, und die Verdachtsmomente geklärt sind.» Im Jahr 2019 ergaben sich bei insgesamt 26 328 Sozialhilfebeziehenden im Kanton Bern 140 begründete Verdachtsfälle, die der Sozialinspektion zur Abklärung übergeben wurden. Bei 85 Fällen bestätigten die Abklärungen den Verdacht. Entkräftet wurde der Verdacht bei 13 Fällen, in den anderen Fällen wurden die Ermittlungen abgebrochen oder keine eindeutigen Hinweise gefunden. Im von den Corona-Schutzmassnahmen geprägten Jahr 2020 wurden der Sozialinspektion weniger Fälle zugewiesen, und die Ermittlungen waren erschwert, da keine Hausbesuche mehr durchgeführt werden konnten.

Schwierige Abklärungen im Ausland

«Der persönliche Kontakt am Domizil der Klienten ist für die Ermittlungen von grosser Bedeutung», erklärt Schürch. Auch die Überwachung ohne Wissen des Betroffenen wird laut Schürch von den Sozialinspektoren durchgeführt. Als Folge der Corona-Schutzmassnahmen wurden Gespräche vor der Haustüre durchgeführt statt in der Wohnung, oder man verzichtete ganz auf Hausbesuche. Wichtig seien ferner immer wieder auch Abklärungen im Ausland. Die Schwierigkeit ist dabei, dass sich das Sozialhilfegesetz nicht zu Abklärungen im Ausland äussert. Aus diesem Grund werden Auslandsabklärungen nur mittels Vollmacht der Klienten durchgeführt.

Nach Abschluss der Ermittlungen übergibt die Sozialinspektion die Abklärungsergebnisse in einem Bericht an den zuständigen Sozialdienst und gibt eine Handlungsempfehlung ab bzw. eine Empfehlung zur Sanktionierung. Diese können eine Kürzung der Sozialhilfe vorsehen oder die Einstellung der Leistungen, die direkte Bezahlung von Miete und Krankenkasse, die Rückerstattung der unrechtmässig bezogenen Leistungen sowie eine Anzeige gemäss Strafgesetzbuch. Die Abklärungen der Sozialinspektorinnen und -inspektoren werden für öffentliche Sozialdienste im Kanton Bern über den Lastenausgleich finanziert und erfolgen somit ohne separate Rechnungsstellung.

Ingrid Hess
Redaktionsleitung

Von diffusen Gefühlen zu konkreten Verdachtsmomenten

Voraussetzung für die Einschaltung der Sozialinspektion ist gemäss dem Berner Sozialhilfegesetz ein begründeter Verdacht. Am Anfang besteht laut Schürch jedoch häufig nur ein Bauchgefühl. Die Sozialinspektion empfiehlt den Sozialdiensten daher eine Reihe von Beobachtungen oder Prüfmassnahmen, um das diffuse Gefühl zu erhärten oder zu widerlegen. Dabei werden die Verdachtsmomente in zwei Gruppen eingeteilt.

1. Auffälliges oder abweichendes Verhalten der Klienten

Ob Klienten kooperativ sind oder nicht, ist für sich genommen kein Verdachtsmoment. Hinweise auf einen möglichen Sozialhilfemissbrauch können sich aus folgenden Sachverhalten ergeben:

Klienten bestehen darauf, ausschliesslich per E-Mail kontaktiert zu werden.

Klienten können nur zu bestimmten Zeiten oder Tagen zu Gesprächen erscheinen.

Klienten verlangen regelmässig eine Terminverschiebung oder haben konkrete Wünsche, wann ein Gespräch stattfinden soll.

Konkrete Fragen der Sozialarbeitenden werden nicht oder nur ausweichend beantwortet.

Klienten reichen Arztzeugnisse ein, sobald Integrationsmassnahmen anstehen.

Klienten machen widersprüchliche Aussagen.

Klienten beantragen nie zusätzliche Aufwendungen (neue Inneneinrichtung, Geld für Skilager der Kinder, Erstattung für Fahrspesen usw.).

2. Auffällige oder unvollständige Unterlagen der Klienten

Bankauszüge werden nicht oder nicht vollständig abgegeben.

Untypische Belastungen auf den Bankauszügen (z. B. Benzinbezüge, Auslandsbezüge, Belastungen von Kreditkarten, regelmässige Bezüge an Orten, wo kein offensichtlicher Anknüpfungspunkt vorhanden ist).

Auf Bankbelegen finden sich unklare Daueraufträge oder wiederkehrende Buchungen.

Auf den Bankauszügen können Kontoüberträge von nicht bekannten Konten festgestellt werden.

Das zur Verfügung stehende Geld wird nicht vollständig aufgebraucht; es besteht ein gewisses monatliches Restguthaben vor der nächsten Auszahlung.

Mietverträge werden nicht vollständig eingereicht; es wird bspw. kein Untermietvertrag eingereicht, oder es werden nicht sämtliche Seiten des Mietvertrages zur Verfügung gestellt.

Werden konkrete Unterlagen (z. B. Reisepass) eingefordert, doch werden nur Kopien der ersten Seiten abgegeben, ohne das Original vorzulegen.

Dem Sozialdienst stehen in diesen Fällen Kontrollinstrumente zur Verfügung, die ohne grossen Zeitaufwand genutzt werden können: Eine Überprüfung oder Kontrolle beim Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt (SVSA) ist möglich und zu empfehlen.

Firmenbeteiligungen können via Handelsregister geprüft werden (Kanton Bern: be.chregister.ch; gesamte Schweiz: www.zefix.ch), Grundeigentum im Kanton Bern kann online abgefragt werden. Allerdings muss die genaue Adresse des Grundstücks bekannt sein (www.belogin.directories.be.ch). Erfolg versprechend kann auch eine Google-Suche sein. Hier ist zu beachten, dass die Resultate präziser werden, wenn die Suchanfrage mit Anführungsstrichen versehen wird (z. B. "dieter bohlen" statt dieter bohlen; "031 351 15 65" statt 031 351 15 65). Auch Bilder oder Videos kann man suchen.